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Der Size-Effekt in der Unternehmensbewertung: Ursachen und Risiken der überdurchschnittlich hohen Renditen kleiner Unternehmen

Im Rahmen der Unternehmensbewertung fällt immer wieder auf, dass kleine Unternehmen im Vergleich zu großen Unternehmen überdurchschnittlich hohe Renditen erzielen. Dieser sog. Size-Effekt scheint die Möglichkeit zu eröffnen, durch gezielte Investition in kleine Aktientitel langfristig dem Markt überlegene Renditen zu erwirtschaften. In diesem Beitrag werden die Ursachen für den Size-Effekt genauer analysiert, wobei ein besonderer Fokus den Risiken dieser vermeintlich aussichtsreichen Anlagemöglichkeit gilt. Abschließend wird ein Ansatz zur Berücksichtigung des Size-Effekts in der Unternehmensbewertung vorgestellt.

Kapitalmarktbeobachtungen zum Size-Effekt 

Einer der ersten und umfangreichsten Untersuchungen zum Size-Effekt stammt von den beiden Wissenschaftlern Fama und French aus dem Jahr 1992. Die im Rahmen dieser Studie gemachten Kapitalmarktbeobachtungen zeigen deutlich, dass die Rendite einer Aktie, verstanden als Total Return oder Gesamtertrag, mit steigender Marktkapitalisierung fast stetig abnimmt. Dieser Größeneffekt wurde auch von weiteren Forschern und auf unterschiedlichsten Kapitalmärkten beobachtet. Allerdings lassen die Kapitalmarktstudien auch erkennen, dass der Size-Effekt über den Zeitverlauf nicht stabil ist und sich zum Teil phasenweise deutlich abschwächt. 

Demgegenüber zeigt ein Blick auf die aktuellen Renditeentwicklungen des deutschen Kapitalmarkts im dritten Quartal 2022 einen signifikant positiven Size-Effekt. Wenn die Renditen der 40 größten deutschen Unternehmen aus dem DAX mit den Renditen der 70 kleinkapitalisierten Unternehmen aus dem SDAX verglichen werden, fällt auf, dass die kleinen Aktientitel aus dem SDAX im Schnitt wesentlich höhere Renditen aufweisen als die Aktientitel der DAX-Unternehmen (Stand: 3.8.2022). 

Kleine Unternehmen mit einer niedrigen Marktkapitalisierung scheinen also langfristig deutlich bessere Renditen zu erzielen. Um diesem Größeneffekt genauer auf den Grund zu gehen, werden in den nächsten Abschnitten zugrundeliegende Risiken und weitere Ursachen bzw. Erklärungshypothesen beleuchtet. 

Risiko-Analyse

Die wohl am häufigsten aufgeführte Erklärung für den Size-Effekt ist die Annahme, dass sich kleine und große Unternehmen in ihrem Risiko unterscheiden und aus diesem Grund verschiedene Renditen zu erwarten sind. Verstärkt wird dieser Effekt dadurch, dass für Bewertungszwecke üblicherweise das Capital Asset Pricing Model (CAPM) eingesetzt wird. Da im Rahmen dieses Bewertungsmodells allerdings nur systematische Marktrisiken und nicht unternehmensspezifische bzw. unsystematische Risiken wie die Unternehmensgröße berücksichtigt werden, kommen selbst auf risikoadjustierter Basis Renditediskrepanzen zwischen kleinen und großen Unternehmen vor. 

Hinzu kommt, dass kleine und große Unternehmen wesentliche Unterschiede in der Liquidität bzw. Handelbarkeit ihrer Anteilsscheine aufweisen. Aktientitel kleiner Unternehmen gelten i.d.R. als illiquide und unterliegen daher einem höheren Liquiditätsrisiko. Dieses erhöhte Risiko geht mit einer entsprechend höheren Renditeforderung einher, welche wiederum die tatsächlich beobachtete Rendite am Markt beeinflusst. 

Des Weiteren ist bei einem Vergleich von kleinen und großen Unternehmen auffällig, dass kleine Unternehmen in einem höheren Ausmaß von Insolvenzrisiken betroffen sind. Häufig sind kleine Unternehmen im Hinblick auf die Kapitalausstattung schlechter aufgestellt und haben daher ein höheres Ausfallrisiko. Auch dieses erhöhte Risiko kleiner Unternehmen rechtfertigt eine zusätzliche Risikoprämie, welche ganz offensichtlich nicht vom CAPM aufgegriffen wird. Dadurch entstehen schließlich positive Überrenditeeffekte, die den Size-Effekt erklären. 

Investorenverhalten 

Neben den betrachteten Risikofaktoren können auch Aspekte aus dem Bereich Behavioral Finance als Ursache für den Size-Effekt herangezogen werden. Diese Erklärungsansätze basieren i.d.R. auf irrationalen Verhaltensweisen von Kapitalmarktakteuren. Ein bekanntes Phänomen in den Finanzwissenschaften ist die sog. Überreaktionshypothese (engl. Overreaction Hypothesis). Das Argument hierbei ist, dass es sich bei kleinen Unternehmen i.d.R. um solche Unternehmen handelt, die in der Vergangenheit oft eine schlechte Performance gezeigt haben. Wenn Anleger die vergangene Leistung nun überbewerten, fällt der Aktienkurs kleiner Unternehmen zu niedrig aus, was im Umkehrschluss zu höheren Renditen führt, wenn die Überreaktion schließlich auskorrigiert wird. 

Ein weiterer verhaltensorientierter Erklärungsansatz bezieht sich auf die Stimmungslage von Investoren (engl. Investor Sentiment). Verschiedene Studien haben diesbezüglich herausgefunden, dass die Investorenstimmung und der Size-Effekt negativ korreliert sind. Das bedeutet, dass der Size-Effekt bei positiver Investorenstimmung am schwächsten ist. Grund dafür ist, dass Anleger in Zeiten optimistischer Stimmung die Wertpapiere riskanterer Unternehmen – wie z.B. kleiner Unternehmen – tendenziell überbewerten. Über einen längeren Zeitraum gesehen führt dies allerdings zu niedrigeren Renditen, da die Fehlbewertung der Aktie wieder korrigiert wird und diese zum Fundamentalwert zurückkehrt. 

Weitere Erklärungshypothesen

Neben den genannten risiko- und verhaltensbasierten Erklärungen gibt es eine Reihe weiterer Erklärungshypothesen für den Size-Effekt. Unter anderem wird dieser häufig auch mit der vorherrschenden Konjunkturphase in Verbindung gebracht. Es heißt, dass der Size-Effekt verstärkt in Expansionsphasen auftritt, während er sich in rezessiven Marktphasen abschwächt oder negativ wird. Dies war z.B. der Fall während der Finanzkrise 2007-2008. In dieser Wirtschaftsphase war die Renditeentwicklung von kleinen Aktientiteln rückläufig und lag deutlich unter dem Renditewert großer Aktientitel. 

Weiterhin ist bekannt, dass Aktien kleiner Unternehmen i.d.R. weniger Aufmerksamkeit von Aktienanalysten und Medien erhalten. Forscher haben in Bezug darauf herausgefunden, dass Aktien vernachlässigter Unternehmen grundsätzlich höhere Renditen erzielen als große Unternehmen, die regelmäßig von Aktienanalysten verfolgt und untersucht werden. Dieses Phänomen ist auch unter dem sog. Neglect Firm Effekt bekannt. 

Ausblick: Um den Size-Effekt im Rahmen der Unternehmensbewertung adäquat zu berücksichtigen, haben mehrere Wissenschaftler alternative Berechnungsmodelle zum CAPM entwickelt, welche neben dem systematischen Risiko (Betafaktor) auch unternehmensindividuelle Faktoren wie die Größe einpreisen. Beispielhaft ist hier das Fama/French-Dreifaktorenmodell zu nennen. Aufgrund der Komplexität dieses und weiterer Multifaktormodelle hat sich in Amerika zu Bewertungszwecken das sog. Modified CAPM (MCAPM) etabliert, welches dem Size-Effekt durch eine zusätzliche Größenprämie gerecht wird. 

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