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Erleichterungen für Auftragsvergaben im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg

Mehr als 250.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sind bereits nach Deutschland gekommen. Ihnen Unterkunft zu gewähren und sie zu versorgen, ist vor allem Aufgabe der hiesigen Kreise und Kommunen und erfordert kurzfristig die Beschaffung einer Vielzahl von Liefer-, Dienst- und Bauleistungen durch diese klassischen öffentlichen Auftraggeber. Damit das (Haushalts-) Vergaberecht bei der Erfüllung dieser besonderen Herausforderungen nicht zum Hemmschuh wird, haben verschiedene Bundesländer bereits mit Vergabeerleichterungen reagiert.

Die Reaktionen erfolgten dabei teils über Rundschreiben, Pressemitteilungen oder gesonderte Regelungen:

Bayern: Rundschreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration vom 18. März 2022:

Für Beschaffungen unter- wie oberhalb der Schwellenwerte, die erforderlich sind, um die in Bayern ankommenden Geflüchteten schnellstmöglich aufzunehmen, angemessen unterzubringen und mit dem Notwendigen zu versorgen, kann vom Vorliegen äußerst dringlicher, zwingender Gründe ausgegangen werden, sodass die rechtlichen Voraussetzungen für ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb als gegeben angesehen werden können, auf eine Einhaltung von Fristen verzichtet und ggf. auch nur ein Unternehmen angesprochen werden kann.

Hamburg: Hinweisschreiben der Finanzbehörde der Freien und Hansestadt vom 4. März 2022 an die Vergabe- und Beschaffungsstellen auf vergaberechtliche Erleichterungen, die sich vorrangig auf die Versorgung Schutzsuchender beziehen.

  • Im Unterschwellenbereich gilt, dass bei der Beschaffung von Liefer- und Dienstleistungen, die der Aufnahme, Unterkunft, Versorgung oder Betreuung Schutzsuchender dienen, bis zum Erreichen der Oberschwellenwerte die Durchführung von Verhandlungsvergaben ohne Teilnahmewettbewerb zulässig ist.
  • Im Oberschwellenbereich könnten die Ausführungen im Rundschreiben des Bundes vom 19. März 2020 herangezogen und auf ein unvorhergesehenes Ereignis bzw. dringliche und zwingende Gründe nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV abgestellt werden, um so eine Beschaffung per Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb zu rechtfertigen.

Niedersachsen: Pressemitteilung vom 17. März 2022: Demnach dürfen Aufträge über Liefer- und Dienstleistungen, die

  1. der Aufnahme, Unterbringung, Gewährleistung der Sicherheit, Beratung, Versorgung und Betreuung von Schutzsuchenden,
  2. dem Katastrophenschutz, dem Zivilschutz oder der Gefahrenabwehr,
  3. der Verbesserung der IT- und Cyber-Sicherheit und/oder
  4. der Ausübung einer Sektorentätigkeit

dienen und deren Vergabeverfahren vor dem 1. August 2022 beginnen, unterhalb der sogenannten EU-Schwellenwerte (215.000 Euro bei allgemeinen Liefer- und Dienstleistungen bzw. 431.000 Euro im Sektorenbereich) im vereinfachten Vergabeverfahren der „Verhandlungsvergabe mit oder ohne Teilnahmewettbewerb“ vergeben werden.

Rheinland-Pfalz: Rundschreiben vom 10. März 2022: Vergaberechtliche Beschleunigungs- und Vereinfachungsregelungen für folgende Maßnahmen zur Unterbringung und Versorgung von aus der Ukraine geflüchteten Personen:

  • Herrichtung von vorhandenen Gebäuden der Kommunen und des Landes,
  • Herrichtung überlassener Bundes- oder Landesliegenschaften,
  • Errichtung von Gebäuden in Modulbauweise,
  • Versorgung der ankommenden Geflüchteten (z.B. Verpflegung, soziale Dienstleistungen, Sicherheitsdienstleistungen, Reinigungsdienstleistungen).

Auf Grundlage von Nummer 4.2 und in Ergänzung der Verwaltungsvorschrift „Öffentliches Auftragswesen in Rheinland-Pfalz“ vom 18. August 2021 (MinBI. S. 91) werden die Wertgrenzen - zunächst befristet bis zum 31. August 2022 – wie folgt heraufgesetzt:

Bauleistungen nach VOB/B:

  • Beschränkte Ausschreibung (ohne TN-Wettbewerb): 1 Mio. Euro (statt 200.000 Euro),
  • Freihändige Vergabe: 100.000 Euro (statt 40.000 Euro).

Liefer- und Dienstleistungen nach UVgO:

  • Beschränkte Ausschreibung (ohne TN-Wettbewerb): 100.000 Euro (statt 80.000 Euro),
  • Verhandlungsvergabe: 100.000 Euro (statt 40.000 Euro).

Vergaben ab Erreichen der EU-Schwellenwerte:

Verweisung auf Regelungen in verschiedenen Rundschreiben der Bundesministerien, die im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 sowie der Hochwasserskatastrophe im Juni 2021 erlassen wurden. Im Tenor geht es dabei darum, dass Leistungen sehr schnell und verfahrenseffizient insbesondere über das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nach § 119 Abs. 5 GWB i.V.m. § 14 Abs. 4, 17 VgV beschafft werden können.

Die Erleichterungen gelten lt. Rundschreiben des MWVLW vom 10. März 2022 befristet bis zum 31. August 2022.

Schleswig-Holstein: „Schutzsuchenden-Vergabeverordnung", die zum 1. April 2022 in Kraft tritt und nach der für Liefer- und Dienstleistungen bis zu einem Gesamtauftragswert von 150.000 Euro (statt bisher 100.000 Euro) eine "Beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb" sowie eine "Verhandlungsvergabe" zugelassen werden.

Zudem werden die Wertgrenzen für Direktaufträge, also Beauftragungen ohne Wettbewerb, deutlich erhöht, auf 5.000 Euro für Liefer- und Dienstleistungen (anstatt bisher 1.000 Euro) und 10.000 Euro für Bauaufträge (anstatt bisher 3.000 Euro).

Darüber hinaus werden Vergabeverfahren in Anlehnung an die bis Ende 2021 bundesweitgeltende Regelung für Bauleistungen zu Wohnzwecken vereinfacht, die bei Bauleistungen für Wohnungen bzw. Unterbringungen notwendig sind. Eine solche Regelung gab es bundesweit bis Ende 2021 schon einmal (vgl. Einführungserlass zur VOB/A 2019 - Az.: BW I 7 – 70421); sie wird für Schleswig-Holstein jetzt wiederaufgenommen.

Die Bundesländer Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen und Thüringen haben keine speziellen Bekanntmachungen zur Vereinfachung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge im Zusammenhang mit der Unterbringung und Versorgung von aus der Ukraine geflüchteten Personen vorgenommen.

Es ist aber davon auszugehen, dass allseits die Auffassung vertreten wird, dass die kriegerischen Handlungen in der Ukraine und der daraufhin rasch einsetzende Flüchtlingsstrom, der aufgenommen, untergebracht und versorgt werden muss, äußerst dringliche, zwingende Gründe im Zusammenhang mit Ereignissen darstellen, die der betreffende öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte. Die Möglichkeiten zur Beschleunigung und Vereinfachung von Vergabeverfahren, die in solchen Dringlichkeitslagen zur Anwendung kommen können, dürften mithin den öffentlichen Auftraggebern vollumfänglich zur Verfügung stehen. Namentlich sind dies die Verhandlungsvergaben ohne Teilnahmewettbewerb und die Direktvergabe im Unterschwellenwertbereich und das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb ab Erreichen der EU-Schwellenwerte.

Zum Oberschwellenbereich liegt seitens des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz bislang noch keine Aussage vor. Insoweit ist aber ebenfalls davon auszugehen, dass die Ausführungen in den verschiedenen Rundschreiben der Bundesministerien, die im Zuge der Flüchtlingskrise 2015, dem Coronavirus vom 19. März 2020 sowie der Hochwasserskatastrophe im Juni 2021 erlassen wurden, insbesondere im Hinblick auf das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV entsprechend herangezogen werden können.

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