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Neues EuGH Urteil zur interkommunalen Kooperation

(EuGH, Urteil vom 04.06.2020 – C-429/19 – Remondis)

Seit der Entscheidung Stadtreinigung Hamburg (EuGH, Urt. v. 9.6.2009, C-480/06) wird das Instrumentarium der interkommunalen vergaberechtsfreien Zusammenarbeit kontrovers diskutiert.

Der Versuch des Gesetzgebers, durch Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie in deutsches Recht Klarheit zu erreichen, durch Art. 12 Abs. 4 RL 2014/24/EU (bzw. § 108 Abs. 6 GWB) blieb darauf beschränkt, die generalklauselartigen Prämissen des Hamburger Urteils in Gesetzesform zu fassen. Zwar existiert nun eine gesetzliche Regelung, die aber weiter Anlass für Diskussionen bietet.

Der EuGH hatte in der Entscheidung vom 04.06.2020 Gelegenheit, zu weiteren Voraussetzungen der vergabefreien interkommunalen Zusammenarbeit Stellung zu nehmen.

Wesentliche Eckpunkte der Entscheidung sind:

  1. Eine Vergabefreiheit ist nicht gegeben, wenn ein Kooperationspartner ausschließlich für die Kooperationsleistungen seines Partners (eine Kostenerstattung ohne Gewinnaufschlag) zahlt, ohne dass er tatsächlich auch einen eigenen Beitrag (Leistung) zur Erreichung des gemeinsamen Ziels leistet.

    Im entschiedenen Fall hatte der Abfallzweckverband Mosel-Rhein-Eifel mit dem Landkreis Neuwied eine Zweckvereinbarung geschlossen, nach der die Restabfälle, für die der Zweckverband zuständig war, in einer Mechanisch-Biologischen Abfallbehandlungsanlage (MBA) des Landkreises aus gemischten Siedlungsabfällen gegen Kostenerstattung aufbereitet werden. In der Vereinbarung konnten die Richter darüber hinaus keine sonstigen eigenen Beiträge des Zweckverbands entdecken. Eine vertragliche Klausel zur Abnahme von Mengen des Landkreises durch den Zweckverband, die u. U. als „Beitrag“ in Frage gekommen wäre, hatten die Beteiligten im Prozess für gegenstandslos erklärt, sodass sie nicht berücksichtigt werden konnte.

    Eine ebenfalls vertraglich vereinbarte „Zwischenlagerung“ von Abfällen durch den Zweckverband für Fälle, in denen der Landkreis diese wegen Betriebsstörungen nicht verarbeiten könne, hat das Gericht offenbar schon deshalb nicht berücksichtigt, weil hierfür weder eine bindende Verpflichtung bestand („soweit möglich“), noch sich der Zweckverband um eine hierfür notwendige Genehmigung bemüht hatte.
     
  2. Der EuGH legt Wert auf die Feststellung, dass die vergabefreie Zusammenarbeit Ausfluss einer „eigenen Initiative zur Zusammenarbeit“ der Partner sein müsse. Der Aufbau einer Zusammenarbeit zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors habe „eine ihrem Wesen nach kollaborative Dimension“, die auf einer gemeinsamen Strategie der Partner beruhe und voraussetze, dass die öffentlichen Auftraggeber gemeinsam ihren Bedarf und die Lösungen dafür definieren und ihre Anstrengungen zur Erbringung von öffentlichen Dienstleistungen bündeln.

    Offenbar nicht allein ausreichend hierfür erachtete das Gericht die in der Zweckvereinbarung in Bezug genommene gesetzliche Anweisung in § 3 Abs. 2 LKrWG Rheinland-Pfalz. Diese fordert die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger zwar auf, miteinander und mit privaten Dritten zu kooperieren. Für die geforderte „eigene Initiative der Kooperationspartner“ und die Forderung nach einer gemeinsamen Strategie der Partner wird die schlichte Verweisung auf diese Vorschrift somit kaum ausreichen.

    Hierzu verweist der EuGH auf eine weitere Sachaufklärung des anrufenden OLG.

Würdigung

Die Entscheidung zeigt, dass ausschließliche Kostenerstattung ohne substanzielle eigene Beiträge nicht zur Herstellung einer vergabefreien Zusammenarbeit ausreicht. Eine „Herstellung“ der gemeinsamen Strategie sowie die notwendige Bündelung der Kräfte gelingt nicht mit einer eher „künstlichen“ Findung von Eventualbeiträgen oder symbolischen Leistungen, die nicht wirklich gewollt sind und nicht geleistet werden müssen.

Notwendig sind jeweils Eigeninitiativen, die über etwaige ohnehin geltende gesetzliche Gebote zur Zusammenarbeit hinausgehen. Die Vertragspartner müssen die Inhalte und Beiträge im Wesentlichen gemeinsam festlegen, weil die Zusammenarbeit „auf einem kooperativen Konzept beruhen“ sollte.

Praxistipp

Vergabeausnahmen werden regelmäßig eng ausgelegt, daher kommt es fast immer auf die Umstände des Einzelfalls an. Dies ist besonders relevant bei Konstellationen, in denen einzelne Kooperationspartner die hauptsächliche Leistung erbringen und der andere öffentliche Partner wenig leisten und mehr zahlen soll.

Dass auch solche Konstellationen möglich sind, hat der Fall Stadtreinigung Hamburg aus 2009 gezeigt; die gestalterische Kunst zeigte sich dort in einer ausgewogenen Verteilung der wechselseitig erbrachten Leistungen auf Basis des kooperativen Konzepts. Die Aufgabenverteilung sollte alle Kooperationspartner berücksichtigen, etwa durch Übertragung von Teilleistungen und/oder der Verpflichtung, zumindest in Notfällen dem Hauptleistungserbringer mit Hilfeleistungen beizustehen.

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