Einführung
Bei steuerlichen Bewertungsanlässen ist für den Ansatz nicht notierter Anteile an Kapitalgesellschaften grundsätzlich der gemeine Wert zu ermitteln. Sofern dieser nicht aus Verkäufen unter fremden Dritten abgeleitet werden kann, ist der gemeine Wert unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft zu ermitteln. Dabei sind sowohl das vereinfachte Ertragswertverfahren gem. § 199 BewG als auch andere anerkannte, für nicht-steuerliche Zwecke übliche Methoden anwendbar (vgl. § 11 Abs. 2 BewG).
Grundsätzlich liegt die Wahl des Bewertungsverfahrens beim Steuerpflichtigen und sollte in Abhängigkeit von den individuellen Rahmenbedingungen getroffen werden. Hierzu hat der BFH in einem Urteil vom 2.12.2022 (Az.: II R 5/19) entschieden, dass die Finanzverwaltung auch nicht mit der Begründung vermeintlicher Fehler auf das vereinfachte Ertragswertverfahren umstellen darf, sondern die Möglichkeit zur Nachbesserung im Rahmen des gewählten Verfahrens einräumen muss.
Vor diesem Hintergrund lohnt eine Betrachtung beider Verfahren und in diesem Zusammenhang insbesondere des anzuwendenden Zinssatzes sowie der zu bewertenden Ergebnisse.
Methodik der Bewertungsverfahren und Rechenbeispiel
Gemäß Bewertungsgesetz (BewG) ist bei der Anwendung des vereinfachten Ertragswertverfahrens grundsätzlich der Jahresertrag der letzten drei abgelaufenen Geschäftsjahre zugrunde zu legen. Dieser wird mit dem typisierten Kapitalisierungsfaktor von derzeit 13,75 multipliziert und so der Ertragswert ermittelt. Für ein fiktives, stark vereinfachtes Rechenbeispiel ergibt sich für ein durchschnittliches Jahresergebnis i.H. von 2.100 T€ ein Ertragswert i.H. von 28.875 T€ (s. Tab. 1).
Das betriebswirtschaftliche Ertragswertverfahren, das auch in Anwendung der Vorgaben des IDW S 1 zulässig ist, beruht grundsätzlich auf der Diskontierung der zukünftigen Zuflüsse an die Eigenkapitalgeber mit einem adäquaten Kapitalkostensatz (s. Tab. 2).
Dem bei dem vereinfachten Ertragswertverfahren verwendeten Multiplikator von 13,75 liegt ein Zinssatz von 7,27% zugrunde (1/13,75 = 7,27%). Sofern dieser in dem vorliegenden Rechenbeispiel vereinfachend als konstanter Eigenkapitalkostensatz verwendet wird und die Jahresergebnisse der Plan-Jahre genau dem Mittelwert der Jahresergebnisse der Ist-Jahre entsprechen, führen beide Verfahren zu identischen Ergebnissen.
Sofern das Jahresergebnis und der Eigenkapitalkostensatz variiert werden, ergeben sich die folgenden Ertragswerte (s. Tab. 3).
Für das Rechenbeispiel ergibt sich somit bei unverändertem Jahresergebnis und Eigenkapitalkosten >7,27% ein Ertragswert, der u.U. deutlich unter dem Ertragswert gemäß dem vereinfachten Ertragswertverfahren liegt (Anm.: Von den zahlreichen Besonderheiten bei der Anwendung der beiden genannten Bewertungsverfahren insbesondere in komplexen Konzernstrukturen soll an dieser Stelle abstrahiert und dazu auf die entsprechende Fachliteratur verwiesen werden).
Fazit
Bei dem vereinfachten Ertragswertverfahren wird ausschließlich auf Ist-Werte abgestellt, während zukünftige, unternehmensindividuelle Prognosen nicht berücksichtigt werden. Des Weiteren wird ein einheitlicher Kapitalisierungsfaktor zugrunde gelegt, während bei dem betriebswirtschaftlichen Ertragswertverfahren ein unternehmensindividueller (sowie ggf. auch periodenspezifischer) Kapitalkostensatz ermittelt wird. Je größer die Diskrepanz zwischen
1. den Ist- und Planergebnissen und
2. den unternehmensindividuellen Kapitalkosten und dem typisierten Kapitalisierungsfaktor,
desto mehr werden die Ergebnisse zwischen den beiden betrachteten Verfahren grundsätzlich auseinanderfallen. Für das vereinfachte Rechenbeispiel sind die Effekte aus der Veränderung des Jahresergebnisses in Kombination mit der Veränderung des Zinssatzes in der nebenstehenden Tabelle dargestellt (s. Tab. 3)