Hintergrund der entstandenen Streitfälle
Sofern ein Arbeitnehmer von einer Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) oder einer entsprechenden Rechtsverordnung in Quarantäne abgesondert wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, kann der Arbeitnehmer für den relevanten Zeitraum eine Entschädigung verlangen. Diese bemisst sich zunächst nach der Höhe des Verdienstausfalls.
Das Infektionsschutzgesetz sieht vor, dass zunächst der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Entschädigungssumme zahlt und anschließend Erstattung beantragt. Wenn die zuständige Behörde die Erstattung ablehnt, kann der Arbeitgeber vor dem zuständigen Verwaltungsgericht gegen die Ablehnung klagen. Die Ablehnung der Anträge auf die Entschädigungszahlung wird oft damit begründet, dass der Verdienstausfall entweder gar nicht oder nicht aufgrund der Absonderung entstanden sei.
Entstehung eines zu entschädigenden Verdienstausfalls
Grundsätzlich gilt im Arbeitsrecht der Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ – wer also seine Arbeitsleistung nicht erbringt, hat auch keinen Anspruch auf die Vergütung. Hiervon gibt es Ausnahmen, die vorsehen, dass ein Arbeitnehmer in bestimmten Fällen auch dann seinen Verdienst (oder eine Ersatzleistung) vom Arbeitgeber beanspruchen kann, wenn er seine Arbeit nicht erbringen kann. Beispielsweise handelt es sich bei der Zahlung von Lohn und Gehalt während einer Krankheit um eine Entgeltersatzleistung. Der Verdienstausfall tritt dabei nicht aufgrund der Absonderung, sondern aufgrund der Krankheit ein. Der Entschädigungsanspruch aus dem IfSG greift dann nicht, weil es am Kriterium des „dadurch“ (durch die Absonderung) entstandenen Verdienstausfalls scheitert. Es erfolgt eine Zahlung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz.
Eine weitere Vorschrift, die eine Ausnahme von dem Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ darstellt, ist § 616 Satz 1 BGB. Darin ist geregelt, dass ein Arbeitnehmer auch „ohne Arbeit“ seinen Vergütungsanspruch behält, wenn er „für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert“ ist. Soweit der Arbeitgeber den Lohn nach dieser Vorschrift fortzahlen muss, erleidet der Arbeitnehmer gerade keinen Verdienstausfall, so dass dann auch der Entschädigungsanspruch nach dem IfSG nicht greifen würde. In den gerichtlichen Auseinandersetzungen ging es für Arbeitgeber also darum, klarzustellen, dass § 616 BGB keine Anwendung findet.
Fraglich – und großer Streitpunkt – war (und ist) deshalb, ob und wann die Voraussetzungen des § 616 Satz 1 BGB vorliegen. Der „in seiner Person liegende Grund“ bereitet dabei regelmäßig keine Probleme, er liegt bei einer Absonderung regelmäßig in dem individuellen Ansteckungsrisiko. Dieses trugen die Arbeitnehmer i.d.R. auch ohne ihr Verschulden, soweit sie die Hygienebestimmungen eingehalten haben.
Mangels Definition des Begriffs „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ ist hingegen stark umstritten, welcher Zeitraum noch als nicht erheblich angesehen werden kann – welche Fehlzeiten sind also kurz genug, um gem. § 616 Satz 1 BGB einen Vergütungsanspruch zu begründen, so dass kein Verdienstausfall vorliegt. Diskutiert werden dabei in der juristischen Literatur und Rechtsprechung Zeiträume von wenigen Tagen bis zu sechs Wochen. Zum Teil soll der Zeitraum auch in das Verhältnis zur Dauer des bestehenden Arbeitsverhältnisses gesetzt werden, d.h. dass bei einer langjährigen Betriebszugehörigkeit auch ein längerer Zeitraum (z.B. 14 Tage) noch „verhältnismäßig nicht erheblich“ (und damit vom Arbeitgeber gem. § 616 Satz 1 BGB zu vergüten) sein kann.
Diskutiert wurde auch, dass unabhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit nur kurzzeitige Fehlzeiten von § 616 Satz 1 BGB erfasst werden sollen, in denen der Arbeitnehmer einen oder wenige Tage z.B. wegen Unglücksfällen in der Familie, Hochzeit, Niederkunft oder infolge unaufschiebbarer Behördengänge an der Erbringung der Arbeitsleistung verhindert ist. Einigkeit besteht jedenfalls darüber, dass auch kein Teilanspruch entsteht, wenn der Zeitraum von vornherein nicht erheblich ist. Rechtsprechung, die den dargestellten Streit auflösen könnte, gab es dazu bisher kaum, jedenfalls aber nicht zu den üblicherweise 14 Tage andauernden Absonderungsfällen im Zusammenhang mit der Coronapandemie. Die Besonderheit bei diesen Verfahren bestand auch darin, dass sich Verwaltungsgerichte mit tiefgehenden arbeitsrechtlichen Fragen auseinandersetzen mussten.
Erstinstanzliche Entscheidungen
Zwischenzeitlich liegen die ersten Entscheidungen in diesem Zusammenhang vor (VG Münster, Urteile vom 1.12.2022, Az.:5a K 92/22, 5a K 165/22, 5a K 5797/21, 5 K 106/22, 5 K 156/22, 5 K 164/22). Darin hat sich das Gericht dahingehend positioniert, dass eine zwölftägige Absonderung nicht mehr als „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ angesehen werden kann, so dass die Voraussetzungen von § 616 Satz 1 BGB nicht vorliegen und mithin ein Verdienstausfall, der zu entschädigen ist, bejaht wurde. Die Entscheidungen sind teilweise rechtskräftig. In einigen Fällen ist aber Berufung eingelegt worden. Es bleibt abzuwarten, ob die Berufungsinstanz die vorstehenden Entscheidungen bestätigt.
Empfehlung
Auseinandersetzungen mit den Behörden über dieses Thema lassen sich vermeiden, wenn Arbeitgeber in ihren Arbeitsverträgen darauf achten, dass § 616 Satz 1 BGB für den Fall der behördlichen Absonderungs- oder Quarantäneverfügung von vorneherein ausgeschlossen ist. Zu beachten ist dabei aber, dass § 616 BGB arbeitsvertraglich nicht insgesamt, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen wirksam ausgeschlossen werden kann.
Hinweis: Der Antrag auf Entschädigung wegen einer Quarantäne-Anordnung kann innerhalb von zwei Jahren nach Erteilung des Tätigkeitsverbots gestellt werden.