Pflichtteilsergänzung durch Schenkungen
Für Schenkungen gilt eine 10-Jahres-Frist, innerhalb derer sie dem Nachlass noch zugerechnet werden. Für jedes seit der Schenkung abgelaufene Jahr reduziert sich die Zurechnung um 1/10. Die Abschmelzfrist beginnt jedoch nicht zu laufen, wenn die Schenkung an den Ehepartner erfolgt oder wenn sich der Schenker ein umfassendes Nutzungsrecht vorbehält (Nießbrauch, Wohnrecht). In diesen Fällen wird die Schenkung für die Pflichtteilsberechnung also noch voll berücksichtigt.
Nießbrauchvorbehalt als Schenkung?
Sachverhalt
Eine besondere Konstellation hatte kürzlich das OLG Saarbrücken zu beurteilen (Urteil vom 15.11.2023, Az.: 5 U 35/23): Im konkreten Fall hatte die an Darmkrebs erkrankte Erblasserin das von ihr genutzte Wohnhaus entgeltlich auf ihren Enkel übertragen. Das Entgelt bestand in dem Vorbehalt des lebenslangen Nießbrauchs für sich und in einem Geldbetrag. In dem Übertragungsvertrag bestellte die Erblasserin ferner für ihren Sohn (den Vater des Enkels) ein lebenslanges unentgeltliches Nießbrauchrecht, aufschiebend bedingt auf ihren Tod.
Nach Eintritt des Todes der Erblasserin wurde der Nießbrauch des Sohnes wirksam. Er war außerdem als Alleinerbe eingesetzt worden, zum Missfallen seiner Geschwister. Sie sahen den ihm zugewendeten Nießbrauch als Schenkung an und machten Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend.
Entscheidung: Keine Pflichtteilsergänzungsansprüche
Das OLG stellte sich auf die Seite des Erben und entschied, dass es sich bei dem von seiner Mutter zugewendeten Nießbrauch nicht um eine Schenkung handelte und demgemäß keine Pflichtteilsergänzungsansprüche bestehen.
Eine Schenkung erfordert neben der Vermögensmehrung des Beschenkten auch eine entsprechende Minderung des Vermögens des Schenkers. Daran fehlte es hier, da die Erblasserin für die Übertragung des Wohnhauses an den Enkel eine angemessene Gegenleistung in Form des Nießbrauchvorbehalts und den zusätzlichen Geldbetrag erhalten hatte.
Das Gericht stellte auch klar, dass bei der Berechnung des Nießbrauchwerts trotz Krebserkrankung die amtlichen Sterbetafeln zugrunde gelegt werden durften, da die Erblasserin zum Zeitpunkt der Übertragung noch im Haus lebte und nichts Erhebliches darauf hindeutete, dass sie in Kürze versterben würde. Der aufschiebend auf ihren Tod eingeräumte Nießbrauch zugunsten ihres Sohnes führte nicht zu einem Vermögensabfluss bei ihr und daher auch nicht zu einer ausgleichspflichtigen Minderung des Nachlasses.
Ergänzende Hinweise
Die beschriebene Konstellation kann in entsprechenden Fällen durchaus als Gestaltung in Betracht gezogen werden. Zu beachten ist allerdings, dass bei der Ermittlung der Gegenleistung des Enkels nicht auch der Nießbrauch für den Vater berücksichtigt wird, da dann eine Vermögensminderung der Erblasserin vorliegen würde. Auch könnte in der zusätzlichen Nießbrauchlast eine Schenkung des Enkels an seinen Vater zu sehen sein, was das Gericht hier nicht zu entscheiden hatte.
Schenkungsteuerlich liegt keine steuerpflichtige Schenkung der Erblasserin vor, da steuerlich ebenfalls eine freigiebige Zuwendung „auf Kosten“ des Zuwendenden erforderlich ist (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), also eine Entreicherung des Schenkers. Daran fehlte es bei der Erblasserin, sie könnte jedoch im Verhältnis zwischen dem Enkel und seinem Vater zu bejahen sein.